Redebeitrag zum Volkstrauertag – Zeitzeugen als wichtigster Teil der Erinnerungskultur

Heute, am 19. November 2023, fand anlässlich des Volkstrauertages eine Gedenkveranstaltung in der Heringer Friedhofshalle statt. Neben Bürgermeister Daniel Iliev und Pfarrer Thorsten Waap, waren auch Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe Q3 mit 2 Redebeiträgen vertreten. Den von unserem Chefredakteur Christian findet ihr hier. Die Rede von Redakteurin Alicia und ihrer Partnerin Constanze werden in einem separaten Artikel veröffentlich.

Der Volkstrauertag begann dabei heute um 10:30 mit einem Gottesdienst in der evangelischen Kirche Heringen. Im Anschluss, um 11:45, begaben sich viele der dort anwesenden Gäste und Weitere zum Friedhof, oberhalb der Sporthalle und Werratalschule.

Die Redner thematisierten dabei verschiedene Aspekte des Volkstrauertages, wie die Zeitzeugenthematik oder die Entwicklung von Kriegen in Vergangenheit und Gegenwart. Zudem wurde die Veranstaltung von Popkantor Matthias Weber sowie dem Heringer Posaunenchor musikalisch umrahmt. Das Ende der Veranstaltung bildete die Kranzniederlegung am Denkmal durch die Feuerwehr der Stadt Heringen.


Es folgt seine Rede:

Der Volkstrauertag ist ein wichtiger Teil der deutschen Erinnerungskultur. An ihm gedenken wir all den Opfern von vergangenen und gegenwärtigen Kriegen sowie denen von Rassismus und Antisemitismus. Wir begehen diesen Gedenktag, um an Leid, Elend, Hunger, Flucht, Vertreibung und Verfolgung zu erinnern. Ziel ist es bei den Menschen ein Bewusstsein zu schaffen. Ein Bewusstsein dafür, was passiert ist und leider noch immer passiert. Zugleich ist es ein Aufruf gegen Krieg und Gewalt, ein Aufruf sich entsprechend zu positionieren. Und dafür brauchen wir eine aufrecht erhaltene Erinnerungskultur.

Wie also schafft man das Bewusstsein bei den Menschen? Wie erreicht man Generationen, die keinen Krieg mehr erlebt haben? Natürlich haben wir dazu Gedenkveranstaltungen wie diese, Mahnmale und Stolpersteine. So besuchte ich selbst in diesem Sommer das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin. Dabei erlebte ich einerseits das beklemmende Gefühl, als ich selbst zwischen den Steinen stand, andererseits sah ich spielende und herumtollende Kinder, die nichts von der tragischen Bedeutung des Mahnmals wissen. Sie stehen in meinen Augen jedoch nicht für respektloses Geschichstvergessen, sondern für eine hoffnungsvolle Zukunft. Ähnlich wie für sie, wünsche ich auch für mich, niemals Krieg unmittelbar erleben zu müssen. Kurz gesagt: Ich möchte kein Zeitzeuge werden.

Nichtsdestotrotz sind Zeitzeugen ein weiterer, wenn nicht sogar der wichtigste Teil der Erinnerungskultur. Zeitzeugen sind schließlich diejenigen, die von Krieg und dessen Auswirkungen berichten können. Sie sind die, die die Schrecklichkeiten erlebt haben. Schrecklichkeiten, die letztendlich prägend waren. Sie mussten Flucht, Hunger und sogar den Tod von Angehörigen ertragen. Sie sind die, die eine Stimme der Vernunft sein können – deren Geschichten unter die Haut gehen und uns Zuhörerinnen und Zuhörer – uns, die eben keine unmittelbaren Erfahrungen von jenem Leid haben – bewegen.

Für uns können Zeitzeugen Brücken zur Vergangenheit sein. Doch Zeitzeugenberichte handeln nicht immer von der Vergangenheit, sondern leider auch von der Gegenwart. So gilt auch eine ehemalige Klassenkameradin von mir als Zeitzeugin. Sie floh im Frühling 2022 angesichts des Kriegs gegen die Ukraine aus einem Vorort von Kiev und lies Hab und Gut, Freunde und Familie zurück. Sie war diejenige, die uns klar machte, dass in Europa wieder Krieg herrscht. Sie löste bei allen Mitschülerinnen und Mitschülern eine persönliche Betroffenheit aus. Uns wurde bewusst, dass Krieg kein Relikt der Vergangenheit ist. Auch wurde klar, dass Krieg nie weit von uns entfernt ist. Die Erlebnisse, die sie prägten, hatten ebenso eine Wirkung auf uns. Unsere Denkweise und unsere Dialoge wurden dadurch maßgeblich beeinflusst. Wir betrachteten die Dinge insgesamt differenzierter, aber weniger distanziert.

Doch die schmerzhaften Erlebnisse können wir, selbst mit den ausführlichen Berichten, trotzdem nie nachvollziehen. Deshalb gilt es, Zeitzeugen zu ehren und die widerwillige sowie tragische Erlangung dieser Rolle anzuerkennen. Ihre Geschichten müssen immer wieder gehört und über Jahrzehnte hinweg in unser Bewusstsein gerufen werden.

Insgesamt dient das dem Ziel, den Frieden zu sichern und zu bewahren. Jeder einzelne von uns ist deshalb dazu aufgefordert, sich, auch in seinem persönlichen Umfeld, für Verständigung und Harmonie stark zu machen. Entsprechend nach dem Motto des diesjährigen Volkstrauertages: „Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg“.

  • von Christian

Eine Antwort auf „Redebeitrag zum Volkstrauertag – Zeitzeugen als wichtigster Teil der Erinnerungskultur“

  1. Ein ganz wichtiger Beitrag an einem sehr wichtigen Tag. Neben Zeitzeug*innen braucht es mindestens genauso stark Menschen wie Euch, die sich mit ihnen solidarisieren und auf ihre Wichtigkeit aufmerksam machen. Die sich für den Frieden positionieren und Gemeinsamkeit und Haltung nach außen tragen statt Hetze und Spaltung. Ihr seid sehr wertvoll, bitte macht weiter so!

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